Das mit uns ist was Ernstes...
von Simone Wunderlin (Kommentare: 0)
Gastbeitrag bei www.ralu.ch
Den Originalbeitrag findet Ihr im Online-Magazin von Rainer Luginbühl http://www.ralu.ch/das-mit-uns-ist-was-ernstes-gastbeitrag-von-simone-wunderlin/
Amerika war für mich immer eine Hass-Liebe. Natürlich mochte ich amerikanische Filme und Musik. Aber in der Bush-Ära hätte ich nicht mal im Traum daran gedacht nach Amerika zu reisen. Immer wieder flogen Menschen aus meinem Umfeld nach New York. Ich war nicht beeindruckt.
Dann, ich weiss nicht genau, was der Auslöser war, überkam mich ein dringliches inneres Bedürfnis. War es Obama, den ich toll fand? Oder mein fortgeschrittenes Alter und die Erkenntnis, dass ich es noch kein einziges Mal die USA geschafft habe? Ich wollte nach New York. Und zwar so schnell wie möglich. Gesagt getan. Der übliche 5-Tages Trip. Und bam! – ich war geflasht. Und zwar nicht vom Empire State Building, dem Time Square oder sonstigen Sehenswürdigkeiten. Nein, es war die Energie. Selbst beim U-Bahn fahren bekam ich dieses dümmlich-glücklich Grinsen nicht mehr aus meinem Gesicht. Hey, ich war in New York und um mich rum waren alles New Yorker! Allein diese Tatsache vermochte mich in ein Hochgefühl zu versetzen, das ich auch beim Skifahren an einem perfekten Tag in den Bergen habe, wenn ich auf dem Sessellift ins Bergpanorama blicke und die Glückshormone sich langsam in meinem Körper ausbreiten. Beim zweiten Kurztrip – das gleiche, nein, dieses Gefühl wurde noch intensiver. Langsam begann ich wirklich zu bedauern, weshalb ich mich diesem Land oder besser dieser Stadt so lange Zeit verschlossen habe.
Hätte ich in meinen 20ern doch den Mut gehabt, anstatt als Au-Pair nach Marseille, einfach nach New York zu gehen. Irgendwo einen Underdog-Job zu haben und in einem kleinen Loch mit vier anderen zu leben, aber hey, in New York. Meine Bereitschaft dies heute zu wagen, ist deutlich kleiner, denn selbst mit einem anständigen Einkommen, sind keine grossen Sprünge möglich. Aber die Sehnsucht blieb. Also was tun? Die Lösung war eine Auszeit in New York, nicht den üblichen „Ein-paar-Tage-Trip“, sondern ein paar Wochen. Um endlich dieses latente Fernweh zu stillen. Der Plan war nicht in Hotels zu übernachten, nichts lag also näher als Airbnb. Man lebt bei Einheimischen, bezahlt deutlich weniger als im Hotel und nimmt manchmal mehr, manchmal weniger an deren Leben teil.
Ich wollte in verschiedenen Quartieren heimisch werden, deshalb wechselte ich die Unterkunft einige Male. Die erste Woche verbrachte ich mit einer Freundin in einer sehr schäbigen Wohnung in der Lower East Side. Ob das mit dem Quartier zu tun hatte oder mit uns, eine Woche liefen wir komplett orientierungslos herum. Ich verlief mich dauernd. Die Lower Eastside ist vermutlich nicht der beste Ort um in New York zu starten, eher ein Ort für Fortgeschrittene. Denn sie hat zwei Gesichter. Eine ist künstlerisch, mit süssen Cafés, originellen Bars und speziellen Shops und kleinen Galerien. Die andere Seite ist dunkel, verlassen, voller Abfall, Sozialbauwohnungen und zwielichtigen Gestalten. Wenn man dann drin ist, bemerkt man es sehr schnell, aber dann ist es zu spät. Am besten, man ist mit dem Velo unterwegs, dann ist man genauso schnell draussen, wie man darin gelandet ist. Velofahren in New York? Jawohl! Und wie. Absolut empfehlenswert. Es gibt sogar Velowege. Die Regeln sind nicht ganz klar, auch bei Einbahn hat man Gegenverkehr und teilt sich die Fahrbahn mit unzähligen Skateboardern und einigem mehr. Die Velos kann man bei www.citibikenyc.com für 25 Dollar in der Woche mieten. Ein geniales System, das Velo darf man jeweils nur 30 Minuten benutzen, dafür gibt es ein dichtes Netz an Stationen, wo man ein Velo abholt oder wieder einstellt. Ich fuhr durch die Strassen, am East River und Hudson River entlang und entdeckte New York nochmals auf eine ganz neue Weise. Staus sind irrelevant. Und sehe ich etwas interessantes, finde ich die nächste Station mit der App, gebe mein Velo ab und erkunde die Gegend näher zu Fuss.
Als nächstes wohnte ich für einige Zeit in China Town. Nach anfänglicher Skepsis konnte ich die Gründe gut erkennen, was meine sehr herzliche Gastgeberin dazu bewog, diese winzige kleine Wohnung in diesem sehr speziellen Quartier zu einem horrenden Monatsmietzins zu bewohnen. Es war nicht China Town selber, denn ausser ein paar günstigen Servicedienstleistungen gab es kaum Berührungspunkte. Die Chinesen leben hier in ihrer eigenen Welt und nur wenige sprechen englisch. Das vor die Füsse spucken und die griesgrämigen Gesichter, laden nicht unbedingt zur Kontaktaufnahme ein. Was aber fantastisch ist, ein paar der spannendsten Quartiere New Yorks sind in wenigen Minuten zu Fuss erreichbar, die Lower East Side und das East Village sind direkt auf der östlichen Seite und nach nur wenigen Blocks in die westliche Richtung ist man mitten in Little Italy, einige Strassen weiter folgt SoHo und Greenwich Village. Am besten man geht die ganze Broome Street runter, denn da gibt es so vieles zu entdecken, bis man in Soho landet und in den Geschäften unendlich viel Geld in Ware verwerten könnte, wenn man es drauf anlegt.
Auf meine nächste Station freute ich mich so sehr, dass ich es kaum erwarten konnte. Es ging nach Chelsea. Wieder war ich Gast in einer winzig kleinen Wohnung, dieses Mal bei einem eher depressiven Musiker, der aber sehr hilfsbereit war. Der Grund meiner Freude war der nur 50 Meter entfernte High Line Park. Vor einigen Jahren sollte die stillgelegte Bahnlinie abgerissen werden, aber dank einiger engagierter New Yorker wurde eine originelle, grüne Oase daraus, die sich von Chelsea bis zum Meatpacking District erstreckt. Abgesehen von der fantastischen Aussicht, gibt es auf der ganzen Strecke kleine Nischen, in denen man einen Moment verweilen und wunderbar entspannt People-Watching betreiben kann.
Überhaupt die Hektik dieser Stadt fordert ihren Tribut. Wenn man sich in den Parks nicht immer wieder Auszeiten gönnt, geht man vor die Hunde. Speziell wenn es jeden Tag Temperaturen über 30 Grad hat. Den New Yorkern scheint dieses Wetter nichts auszumachen, denen merkt man die krassen Temperaturunterschiede zwischen heisser stickiger Luft in der Subway Station und der eiskalten Luft im Train und in Geschäften nicht an. Was man von mir nicht behaupten kann. Den Wechsel zwischen Fächer und Schal ist gerad noch das eleganteste an mir. Die Tage waren grausam, dafür die Nächte umso angenehmer. Das mediterrane Flair fiel mir erst bei diesem Besuch auf. Und dann kann man das Nachtleben ausgiebig geniessen, wenn die Tage so heiss sind. In Cafés sitzen, Konzerte geniessen, Stand-up Comedy im Citizen Upright Brigade Theater in Chelsea waren Highlights. Openairs in dieser Stadt sind sehr speziell, ganz besonders magisch war dasjenige von „The National“ im Prospect Park in Brooklyn. Meine letzte Station war dann auch Brooklyn, Prospect Heights, in einem hübschen Brownstone Haus mit der klassischen Treppe zum Eingang im ersten Stock. Die bezaubernde, kunstinteressierte Familie, die mich sehr herzlich aufnahm, bekräftigte meine Überzeugung, dass Airbnb von jetzt an eine ernsthafte Alternative zur Hotelübernachtung ist. Neben toll ausgestatteten Coffeshops mit wirklich exzellentem Expresso – da kann Starbucks gleich einpacken – findet man Boutiquen und Shops mit sehr originellem Angebot. Das Highlight sind aber die Brooklyn Heights, ein wunderschönes Quartier mit der berühmten Brooklyn Promenade, die man aus unzähligen Filmen kennt. Und obwohl ich die Skyline schon auf tausenden von Bildern gesehen habe, der Anblick fasziniert jedes Mal aufs Neue. Ich mache ein Foto, ich mache ein zweites, dann ein drittes und es werden immer mehr. Dieses Motiv lässt einem nicht mehr los.
Das Abenteuer New York endet nach ein paar Wochen. Unzählige Kilometer bin ich gelaufen, mit der U-Bahn und mit dem Velo gefahren, in Cafés, auf Wiesen und Bänken in Parks habe ich gesessen, gelesen, die Leute beobachtet, wurde inspiriert, habe mich kulinarisch verwöhnen lassen, Strassenmusikern gelauscht, war an Konzerten, in Museen, an Yankee Spielen, im Theater, am Rockaway Beach, habe mich treiben lassen, bin einfach Teil dieser Stadt gewesen, manchmal mit ihr verschmolzen und manchmal fast untergegangen und habe befürchtet, den Trubel nicht mehr auszuhalten. Wurde meine Sehnsucht gestillt? Ja und Nein. Auf einer Ebene fand ich diese Zeit des Seins in einer so unglaublichen Stadt wie New York einfach fantastisch und auf der anderen Seite wurde ein noch viel tieferes Verlangen geweckt. Ja, ich habe mich verliebt und ich kann unser nächstes Wiedersehen kaum erwarten. Diese Stadt hat mich gewonnen, für immer.
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